Samstag, 14. Juli 2012
Die Zeit, in der ihr lebt bekommt einen Namen:
"Eine gefrorene sekunde"



in welcher epoche leben wir? man sollte sich hierzu eigene gedanken machen.

es ging vor tagen ein stück aus meiner kindheit durch den kopf, durchfuhr den körper und blieb im geiste hängen.

irgendwann kam mein vater mit zwei grossen kisten nach hause. In den kisten befanden sich tausende kleiner parketthoelzer.
ausschussware aus einer grossen schreinerei.

was am anfang so wenig erschien, entpuppte sich als jahrelang anhaltender bautraum.
wir bauten mit den parketthoelzern die hoechsten tuerme. meter um meter. mal fielen sie um, mal schafften wir es bis kurz unter die decke, hierfuer brauchten wir schon eine leiter.

die tuerme wurden nach fertigstellung mit figuren ausgestattet, die wir in den verschiedenen "stockwerken" des turmes unterbrachten. eine kleine welt fuer sich.
bauen war schoen und betrachten war schoen. aber jeder wusste, worauf alles schliesslich hinauslaufen wuerde.
und so kam es.
ein unteres, tragendes holz wurde mit dem finger aus dem geruest herausgeschnippt.

und da stand er nun, der turm. stand da und wusste nicht sorecht, was er nun tun solle.
wir nannten das als kinder: die gefrorene sekunde.
die tatsache war durch, doch die realisierung fehlte noch.
die gefrorene sekunde, die sekunde bevor der turm sich neigte, um in hunderte von einzelnen hoelzern unterzugehen.

die situation kommt im grossen und auch im kleinen vor. in einer gesellschaft des aufbaus, der fertigstellung, der zerstoerung. zwischen fertigstellung und dem zerlegen, da liegt sie nun, die gefrorene sekunde.
im kleinen kennt sie jeder. ein rennwagen faehrt frontal in eine mauer. im film. im sport. und wir koennen teilweise spueren, fuehlen, wie das schicksal atmet, einsaugt, realisiert dann kommt da rauch, dann kommt da feuer. ein revolverheld, der seine blutige hand anschaut, die von seinem bauche kommt. er schaut sie an und stirbt.

Ja, klar und deutlich. Er war geboren. Sie alle hatten aufgebaut. Und nun standen sie seit 20 Jahren um den Turm herum.

Lass mich das Kind sein. Das Kind, das langsam kniet. Zum Turm mit seinen tausenden Hölzern hinschaut. Den niemals vergehenden Geruch der Hölzer einatmet.

Seine feuchten Finger anschaut. Die Finger an den Handflächen und miteinander reibt. Die letzten Momente des Turms in sich fühlend. Geniessend.

Dann lass mich meinen Mittelfinger nehmen, ihn mit all meiner Kraft gegen meinen Daumen drücken.
Lass mich die Hand zum Turm vorstrecken. Und dann lass mich fühlen, lass mich spüren, wie der Fingernagel meines Mittelfingers über die Innenseite meines Daumens schiesst.

Um schliesslich im wundervollen Schmerz auf eines der untersten Hölzer des Turmes zu treffen.
Lass mich sehen, wie das Holz aus seiner Reihe herausgeschleudert wird.

Lass mich fühlen, wie der Turm fühlen wird. Lass ihn mich bewundern, da so traurig, ohne sein fehlendes Holz.
Lass mich sehen, wie er die gefrorene Sekunde aufnimmt Und lass mich sehen, wie er sein Schicksal realisiert und sich erst langsam und dann ganz schnell Gott zu Füssen legen wird.

Mach alles Gleich. Lass endlich die letzten die ersten sein und die ersten die letzten. Lass die Blinden gleich sein mit den Sehenden. Die Lahmen gleich sein mit den Laufenden.
Erst in der Zersplitterung von all den erbauten Tafeln liegt der Schlüssel, zum Neuen, zum Besseren, zum Höheren.





Zerbrecht mir all die Tafeln, Brüder. Zerbrecht sie mir.


Hier sitze ich und warte, alte zerbrochene Tafeln um mich
und auch neue halb beschriebene Tafeln. Wann kommt
meine Stunde?

-die Stunde meines Niederganges, Unterganges: denn
noch einmal will ich zu den Menschen gehn.

Des warte ich nun: denn erst müssen mir die Zeichen
kommen, dass es meine Stunde sei – nähmlich der lachende
Löwe mit dem Taubenschwarme.

Inzwischen rede ich als einer, der Zeit hat, zu mir sel-
ber. Niemand erzählt mir Neues: so erzähle ich mir mich
selber.-


Das ist mein Traum.

Mein Traum von Liebe, vom ewigen Kreislauf, von Auferstehung, von allem Neuen, von allem Gerechten. Bis dahin erzähle ich mir mich selber und bin gerecht zu mir.

Nehmt mich und kreuzigt mich, aber eure Hände werden ewig gierig an mir vorbeigreifen, vorbeischnappen.

Ins Nichts. In Euch selbst. Denn all das, was ihr NICHTS seid, das bin ich.

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